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STILLE HELDINNEN

Simon atmet nicht mehr. Mein Freund und Begleiter bei so viel Schönem starb am 11.Januar. Nun ist da eine Lücke und doch auch etwas Neues. Ich war bei ihm, als er starb. Diese Begleitung habe ich nicht bewusst gewählt, es hat sich so ergeben.

Die letzte Zeit mit ihm fühlte sich an wie in einer Wolke, es gab in dieser Zeit nichts Anderes. Da war das Hoffen, dass er es schaffen würde, dass es nicht zu Ende geht. Das Innehalten und Nicht-wahr-haben-wollen als klar wurde, dass er stirbt. Die letzten Stunden, gemeinsam mit denen, die für ihn da sein konnten. Er war mein Freund und dann hielt ich ihn in meinen Armen, als er ging. Mit dem Ende seines Lebens beginnt für mich ein anderes Leben.

Das Wissen, dass der Tod zum Leben gehört, ist ein Wissen, das wir vielleicht im Kopf haben, aber nur ungern ins Herz lassen. Während meiner Zeit im Krankenhaus, bei meinem Freund Simon, war ich sehr beeindruckt von den Palliativ-Schwestern. So viel Empathie, so viel Liebe und Unterstützung für Simon und uns Angehörige und Freunde .

Wie schaffen sie das nur auf dieser Station, auf der beinahe täglich Menschen sterben, wo der Verlust immer greifbar ist? Wie können sie immer wieder von vorne anfangen? Jeder Mensch, denke ich, sollte jemanden an seiner Seite haben, wenn er stirbt. Und ich frage mich, könnte ich das auch für fremde Menschen, was ich für meinen Freund tat? Sie zu begleiten auf ihrer letzten Reise?

Diesen Fragen wollte ich nachgehen. Ich beschloss, mich mit Menschen zu unterhalten, die genau das tun: Fremde beim Sterben begleiten. Sie befinden sich, beruflich oder ehrenamtlich, an der Schwelle vom Leben zum Tod. Sie sind da, wenn geschieht, was wir als Mensch am meisten fürchten: Das Sterben, der Tod, das Abschied nehmen. Ich wollte sie fotografieren, ihnen dabei in die Augen sehen und hören, was ihnen Kraft gibt - wieso sie tun, was sie tun. Ich habe versucht, diese Gespräche zu komprimieren. Herauszufiltern, was mich berührte und überraschte. Die Worte ergänzen die Bilder. Es ist das Protokoll einer sehr persönlichen Suche. 

 

 

Ausgangspunkt dieser Gespräche...

war der Austausch mit Kathrin, einer Freundin, mit der ich zusammen an Simons Sterbebett saß. Kathrin arbeitet jeden Sommer auf einer Almhütte in den Schweizer Alpen. Als Hirtin kümmert sie sich um Kühe und Schafe. Sie hat Tiere sterben sehen und sie dabei begleitet, Menschen zuvor noch nicht. Ich habe größten Respekt für ihre Kraft und Hingabe in diesem Prozess, bin ihr zutiefst dankbar für alles, was sie noch für Simon getan hat. Mit ihrer Hilfe konnte er loslassen, in Frieden gehen.

„In den letzten Stunden seines Lebens war er nur noch er, keine Maske, keine Show mehr, nur noch er“, beschreibt Kathrin, was ihr besonders in Erinnerung geblieben ist. „Es war nichts mehr dazwischen, weder von uns, die wir bei ihm waren, noch von Simon selbst. Ein unbeschreiblicher, göttlicher Moment. Diese Reinheit, dann diese unglaubliche Stille.“ Die Zeit vor seinem Tod habe sie viel Kraft gekostet. Und dennoch habe sie mehr zurückbekommen, als sie gegeben hat, auch wenn es nicht darum geht, das aufzuwiegen. Es ist ihr Herzenswunsch, weiter für sterbende Menschen da sein und sie begleiten zu dürfen.

Ende des Jahres wird sie eine Ausbildung als spirituelle Sterbe-begleiterin beginnen. „Es steckt aber auch bisschen Egoismus in der ganzen Sache. Man darf bei etwas Reinem, Göttlichem dabei sein, ganz nah dran. Man darf da etwas fühlen, was man so im Alltag nicht erlebt. Und dann muss man aufpassen, dass man nicht diesem Gefühl hinterherläuft. Man muss sich fragen, warum mache ich das? Weil ich wirklich helfen möchte oder weil ich dafür Anerkennung bekomme? Man sollte versuchen, dabei auf dem Boden zu bleiben.“

 

 

 

Kathrin kenne ich, ich war an ihrer Seite, als Simon starb, habe ähnlich empfunden, Die nächsten Gesprächspartnerinnen - ja, es sind nur Frauen, es gibt leider nur wenige männliche Sterbebegleiter - waren mir zuvor unbekannt. Eine Freundin hatte mir den Kontakt zu Mitarbeiterinnen eines Hospizzentrums vermittelt. An einem Samstag im März treffe ich sie, knapp zwei Monate nach Simons Tod. 


Antje,...

56, arbeitete lange als Fachkrankenschwester im schmerztherapeutischen Bereich. Sie war vier Jahre auf der Intensivstation, bevor sie in den ambulanten Hospizdienst wechselte. Auf der Intensiv werde zwar medizinisch alles für die Menschen getan, erzählt sie mir. Aber die Diskrepanz zwischen der Medizin und der Seele, dem Menschen, um den es eigentlich geht, sei riesig. „Wenn man sich von einem Menschen nicht verabschieden kann, weil er während einer Reanimation stirbt, das ist schrecklich.“ Wenn sie zu einem Sterbenden kommt, setzt sie sich ans Bett, fragt, ob sie die Hand halten dürfe, stellt sich vor und redet ruhig mit ihr oder ihm. Das Gehör ist das Letzte, das geht, sagt sie. „Sterben ist dann etwas sehr Intimes“, sagt sie. „Jeder Mensch sucht sich aus, wann er geht. Manche können erst gehen, wenn sie alleine sind.“ 

 

 

 

Ihre Kollegin, Kathrin S.,...

45, begleitet vor allem junge Menschen. Als Kinderkrankenschwester auf der Intensivstation hatte sie oft gesehen, wie Eltern kranker Kinder allein gelassen wurden. Bei den Gesprächen mit ihnen merkte sie, dass sie jemanden brauchen, der ihnen zuhört - und sie das gut kann.

Als Vater stelle ich es mir besonders schwer vor, sterbende Kinder zu begleiten. Kathrin sagt, es mache sie jedes Mal traurig, auch weil sie sich als Mutter gut in die Eltern reinversetzen kann. „Privat und beruflich kann ich aber komplett trennen. Meine Kinder sind gesund und es geht ihnen gut.“

Die Kinder, sagte sie, sind meistens komplett offen und stellen Fragen über den Tod. „Was passiert nach meinem Tod, wo komme ich hin und wo bin ich dann? Ein kleines Kind weiß noch gar nicht, was es bedeutet, für immer weg zu sein. Ältere Kinder schon, und haben deshalb auch mehr Ängste. Sie sprechen das meist klar aus, woraus sich tolle, manchmal aber auch sehr schwere Gespräche ergeben.“

Und oft hätten sie auch ganz klare Wünsche, wollen das Leben noch mal wie im Schnelldurchlauf intensiv durchleben. Noch mal küssen oder sich verlieben, weil sie wissen, das haben sie bald nicht mehr. Und wenn der Moment des Sterbens gekommen ist? „Die jungen Menschen brauchen in dem Moment eigentlich nichts mehr. Die Atmung wird weniger, der Blick driftet ab, dann breitet sich Ruhe und Stille aus. Über den Gestorbenen, aber auch über alle anderen.“

Diese Ruhe und Stille wünscht sie sich auch für sich selber, wenn sie mal stirbt. Ihre Liebsten um sich, wenn sie das können. Und ganz viel Ruhe. Sonst nichts.

 

 

 

 

 

Ursula,...

die Leiterin des ambulanten Hospizzentrums, bestätigt dies mit vielen Geschichten. Nach 20 Jahren Hospizarbeit ist sie vor allem Stütze und Hilfe für ihre Kolleginnen. Es sei sehr wichtig, das Erlebte auch abgeben zu können, sagt sie, es zu teilen, um wieder neue Kraft zu finden, für sich und für die Aufgabe.Stumpft man nach 20 Jahren in diesem Beruf nicht irgendwann ab, frage ich sie. „Dadurch, dass immer wieder auch persönliche Verluste mit dabei sind, stumpft man nicht ab.“ Vor zwei Jahren ist ihr Schwiegersohn verstorben, das war auch für sie wieder tief bewegend. „Seitdem bin ich wieder viel achtsamer geworden über das, was ich den Menschen sage, da ich wieder selbst erfahren habe, wie es sich anfühlt“, erzählt mir Ursula.

Eine Geschichte, die sie bis heute tief berührt: „Ich kam zu einem sterbenden jungen Mann, Anfang 40, alleinerziehender Vater einer 12-jährigen Tochter. Er war zurück ins Elternhaus gezogen, um das Kind erziehen und gleichzeitig arbeiten zu können. Die Mutter war bei der Geburt des Kindes gestorben. Wir haben die ganze Familie in diesem Prozess begleitet, seine Eltern, die Tochter, und ihn selbst. Die Eltern des Mannes haben mich sehr berührt, da meine eigenen Kinder nur etwas jünger waren als der Sterbende“, erinnert sie sich. „Der Vater saß im Krankenhaus am Bett des Sterbenden, als ich kam. Er hat mit ihm gesprochen, wie Eltern mit einem Baby sprechen, das gerade zur Welt kommt. Er war sehr liebevoll, und mir kam es so vor, als ob er seinem Sohn Geburtshilfe leistet, für was auch immer dann kommt, diese andere Welt.

Ich wusste, dass der Vater nicht viel Zeit für seinen Sohn gehabt hatte, als er klein war. Also hat er das nachgeholt, was er damals nicht geben konnte, all die Liebe, die er in sich hatte“, sagt Ursula. „Das hat mich an meinen eigenen Mann erinnert. Denn wenn das eines meiner Kinder wäre, würde er jetzt wahrscheinlich so dasitzen. Das berührt mich bis heute und ich habe Supervision gebraucht, um da wieder raus zu kommen“, sagt sie und erklärt mir, dass Sterbebegleiterinnen so eine Supervision alle zwei Monate bekommen - oder aber bei Bedarf.

 

 

 

 

Walburga,...

64, unterstützt das ambulante Hospizzentrum seit 2011 im Ehrenamt. Sie fing an, nachdem sie ihre Mutter, zusammen mit ihrer Schwester, in den Tod begleitet hatte. „Zu viele Menschen haben das nicht, sind in der letzten Lebensphase ihres Lebens alleine, deshalb möchte ich helfen“, sagt sie.

„Meine Aufgabe ist erst einmal nur das Zuhören. Wie kann ich den Menschen in seiner Not unterstützen? Das ist jedes Mal wieder eine Herausforderung. Und auch spannend, herauszufinden, was der Mensch, der jetzt vor mir steht, wirklich braucht. Das ist nie gleich. Die Wortwahl mag bei dem einen Patienten genau richtig sein, bei einem anderen schließt sie eine Tür.“

Was ihr immer wieder auffällt: „Die Sterbenden haben oft Angst mit den Angehörigen über den Tod zu sprechen. Es ist aber sehr befreiend für beide Seiten, wenn der Tod thematisiert wird.“ Walburga sieht ihre Aufgabe auch darin, die Angehörigen darauf aufmerksam zu machen. Sterbebegleiter sollten dazu ermutigen, Themen, die noch im Raum stehen, auch anzusprechen.

Eine sterbende Frau habe mal zu ihr gesagt: „Wissen Sie, Sie müssen jetzt leben, der Tod ist zwei Meter hinter uns. Nutzen Sie den Vorsprung und leben Sie!“ Jedes Mal, wenn Walburga jetzt einen Durchhänger hat, denkt sie an diese Worte. „Wenn ich irgendwann mal das Gefühl haben sollte, dass ich den Menschen keine Hilfestellung, keine Resonanz mehr geben kann, dann wird es Zeit, über das Aufhören nachzudenken“, sagt sie.

 

 

 

Die Studentin Joana...

ist mit 24 Jahren eine der jüngsten ehrenamtlichen Helferinnen im Team. Sie hat das Gefühl, viele in ihrem Alter, aber auch Ältere, wollen sich mit dem Tod nicht beschäftigen. Wenn sie davon erzählt, was sie macht, sei die Reaktion oft: „Oh, toll, aber das könnte ich nicht“. Und damit sei das Gespräch dann oft schon beendet. „Es gibt wenige Menschen, die wirklich nachfragen. Vielleicht aus Angst, sie könnten etwas Falsches sagen, aber auch, weil sie sich einfach nicht damit beschäftigen wollen“, glaubt sie.

Joana würde jedem die Qualifizierung zum ehrenamtlichen Sterbebegleiter empfehlen, „weil man sich sehr mit sich selbst, dem Leben, und auch mit dem Tod, auseinandersetzt“. Es gäbe aber auch Menschen, die mit sich selber schon so viel zu tun hätten, dass es für sie nicht gesund wäre, noch jemand im Sterbeprozess zu begleiten. „Ich würde aber jedem diese Erfahrung wünschen, weil es ganz tolle Begegnungen sind, die man dadurch hat.“

Auf der Heimfahrt und beim Schreiben überlege ich, was das alles für mich bedeutet. Ich kann mir vorstellen, eine Ausbildung zu machen und wieder einen Freund oder Angehörigen zu begleiten. Sterbebegleiter als Beruf, dafür wäre ich noch nicht bereit.
Die intensiven, tiefen und wunderschönen Gespräche im Hospizzentrum bestätigen, was ich schon auf der Palliativ-Station im Krankenhaus empfunden hatte. Ich bewundere diese ganz besonderen Menschen und ihre Arbeit, für mich sind sie stille Heldinnen.